Kapitel 21:
Der Abschied und der darauf folgende längere Fußmarsch
Am folgenden Morgen standen alle Wichtels schon frühzeitig auf. Wie üblich wurde zuerst gefrühstückt. Hinterher nahmen sie tränenreichen Abschied von den Tieren des Waldes und des Teiches. So nebenbei erkundigten sie sich noch, wer ihnen bei der Weiterreise nützlich und behilflich sein könnte. Bedauerlicherweise war keiner bereit, nicht einmal der Schwan, der diesen Teich für sich und zur Aufzucht seiner Jungen entdeckt hatte. „Oh, oh“, dachte Herr Wichtel, „diese Vögel vertragen sich nicht mit anderem Wassergeflügel. Sie vertreiben diese Tiere mit der Zeit und fressen Unterwasserpflanzen, welche den Sauerstoffgehalt des Wasser beeinflussen. Außerdem bietet diese Flora den Fischen Nahrung und Schutz vor Raubfischen. Hoffentlich siedeln sich hier nicht zu viele Schwäne an.“
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Miti schlug vor, den Fasan zu fragen, weil er gerne mehrere Hennen um sich sammelt. Sie könnten die Zwerge ihrem Ziel ein Stück näherbringen. Titi entgegnete, dass Fasanenhennen zu dieser Jahreszeit – also während der Brut- und Aufzuchtszeit – ihre Jungen nicht verlassen werden, denn Fuchs, Wiesel oder Krähe liegen auf der Lauer um die Gelege zu plündern. „Da müssen wir eben auf Schusters Rappen gehen.“, schrie Gitti, das jungste Zwergenmädchen, dazwischen. Herr Wichtel war mit dem Vorschlag einverstanden. So zogen die kleinen und großen Zwerge vereint los und trippelten unter Farnen, Gräsern und Heidelbeerbüschen einher und hatten aus Vorsicht ihre Tarnkappen aufgesetzt. Sie pflückten dabei Beeren und verzehrten sie so gleich. Die drückende Hitze hatte etwas nachgelassen und die Knollennasen liefen mit Leichtigkeit über Stock und Stein. Die Kleinen mussten öfters ermahnt werden, nachzukommen. Ständig entdeckten sie etwas Neues. Insekten, Würmer und Raupen waren für sie kleine Monster. Da plötzlich ein schriller Aufschrei.
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Gitti hatte sich in einem Spinnennetz verfangen und kam nicht mehr aus dem Wirrwarr von Fäden heraus. Vater Wichtel erschrak, als er das zappelnde Töchterlein im Netz hängen sah. Hier war Eile geboten, denn eine falsche Drehung und das Mädchen würde sich selbst aufhängen. Zu dem bestand Gefahr durch die Spinne, die ihr Opfer schon voll im Visier hatte und züngelte. Das krabbelige Tier lud gerade seinen Gifttank auf und wollte sich auf das Opfer stürzen. Herr Wichtel kam ihm zuvor und zerstörte mit einem kraftvollen Schlag Netz und Spinne und konnte dadurch die verängstigte Gitte retten. Er hob sie auf seinen Arm, drückte sie und gab ihr Schmusebäckchen. Nach und nach beruhigte sich das Zwergenmädchen. Wichtelfrauchen schaute nach, ob es irgendwelche Verletzungen erlitten hatte. Zum Glück überstand die kleine Göre das Ganze unversehrt, was sie einzig und allein dem mutigen Vorgehen ihres Vaters zu verdanken hatte.
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Nach diesem Vorfall meldete sich auch der Zwergenlehrer zu Wort. Er veranschaulichte durch Beispiele den Knollennasen, wo im Wald Gefahren lauern. Alle müssten immer auf der Hut sein. Danach marschierten die Zwilche unter den Pflanzen des Waldes weiter. Viele Male schauten sie nach oben und bemerkten, wie es im Buchenwald allmählich dunkler wurde. Das Gewächs am Boden bekam kein Licht und verkümmerte. Die Zwilche fanden hier keine Nahrung mehr. Deshalb mussten sie ihre Marschroute verändern und am Waldesrand entlang gehen. Hier wuchsen die Kräuter, die sie für ihr leibliches Wohl benötigten. Nicht weit davon schlängelte sich ein klares Bächlein durch die Wiesen. An dieser Stelle wurde halt gemacht. Nach der langen Wanderung war das Völkchen hungrig und durstig geworden. Die Rast kam ihnen gelegen. Sie setzten sich in das weiche Gras und entdeckten, als sie in die Ferne blickten, ein kleines Dorf mit nur sechs Häusern. Drum herum waren riesige Kronfelder und fette, saftige Weiden, ein Schlafaffenland für Rinder. Das Getreide stand gut und konnte bald geerntet werden. Es war tatsächlich eine traumhafte Landschaft und noch schöner als die Gegend am Teich. Am frühen Nachmittag, nach dem man gegessen und sich ausgeruht hatte, sollte der Trip durch die Gefilde fortgesetzt werden. Leider fühlten sich viele vom stundenlangen Marsch, den sie hinter sich hatten, schlapp und lustlos. Wichtelmännchen hatte wirklich große Mühe seine Mannschaft in Bewegung zu setzen. Jeder von ihnen trippelte und trappelte so vor sich hin und ließ Kopf und Arme hängen. Erst als ein Rehkitz aus dem Kornfeld über den Weg sprang, wurden alle wieder neugierig und lebendig.
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Die Zwerge helfen einem Rehkitz, das seine Mutter verloren hat
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