Kapitel 24:
Gewaltiges Gewitter und der Erdgeist
Nun trabten sie im gleichen Schritt, wie Herr Wichtel das vorgeschlagen hatte, ihren Weg weiter. Dennoch, so meinten alle, sei es unmöglich auf diese Weise vor Wintereinbruch das ersehnte Ziel zu erreichen. Auf den Stoppelfeldern entdecken ihre Späheraugen Krähen, die nach den vom Dreschen liegen gebliebenen Körner suchten und diese aufpickten. Hoch erfreut liefen sie zu den Vögel hin, mitten durch die pieksenden Stoppeln, die ihre Anzügelchen und Käppchen zerstachen und zerrissen. Sie ließen sich dadurch nicht unterkriegen und versuchten sogar ihre Schritte zu beschleunigen. Unterdessen verzog sich die Sonne hinter den aufkommenden grauen Wolken.
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Nach des Tages feuchte und drückende Schwüle war es vorauszusehen, dass ein gewaltiges Gewitter aufkommen musste. Die halbe Strecke hatten sie auf dem Felde hinter sich gebracht als der erste Blitz geradewegs in den Boden einschlug. Die Vögel schossen kreischend in die Luft, während sich die Zwilche rasch auf den Boden warfen und sich zusammenrollten. Das Gewitter entlud sich direkt über den Zwergenvölkchen. Deshalb mussten sie diese Haltung auf dem abgemähten Getreidefeld beibehalten bis sich das Unwetter verzogen hatte. Das war sehr anstrengend. Die Kleinen wurden unruhig und fürchteten sich. Man erklärte ihnen, dass bei dieser Körperlage kaum eine Gefahr besteht, vom Blitz getroffen zu werden. Erfreulicherweise ließ das polternde Krachen dieses Naturereignisses bald nach. Der Regen stürzte wie ein Wasserfall aus den Wolken, das Erdreich wurde aufgeweicht. Die Wichtels hatten sehr große Schwierigkeiten auf dem klatschnassen Erdboden vorwärts zu kommen. Ständig rutschte einer von ihnen aus, andere blieben stecken. Trotzdem gaben unsere Lieblinge nicht auf und versuchten es mit aller Kraft, die Landstraße wieder zu erreichen. Kurz vorher geschah etwas, was sie überhaupt nicht erwartet hatten.
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Ein Erdgeist tauchte urplötzlich vor ihnen auf. Da er die entkräfteten Waldmenschen nicht noch mehr ängstigen wollte, offenbarte er sich geschwind als guter Geist, der sogar zaubern könnte. Ihm war zu Ohren gekommen, dass die Wichtelleute weit weg in ein fremdes Land ziehen wollten. „Ich kann Euch helfen“, sprach der Erdgeist zu den heftig zitternden Zwergen, „kommt mal mit mir. Ich will Euch mein Versteck zeigen. Hier könnt Ihr Euch eine Nacht ausruhen. Morgen früh, wenn Ihr ausgeschlafen habt, gebe ich Euch ein paar Tipps.“ Allmählich fassten die Zwerge Vertrauen zu ihm und ließen sich darauf ein, mit ihm zu gehen. Am folgenden Vormittag warteten sie gespannt auf den Erdgeist, der sich leider verschlafen hatte. Er entschuldigte sich. Ohne Umschweife verriet er ihnen, dass er Flügel auf ihre Rücken zaubern wolle, mit denen sie einen Teil der Strecke ohne Hindernis und Anstrengungen überwinden werden. „Allerdings“, so erklärte er ihnen , „wirke die Zauberkraft höchstens ein paar Meilen. Ihr werdet es merken, wenn die Flugkraft nachlässt und ihr sanft auf dem Boden landet. Sodann fallen die Flügel ab, zersetzen sich ohne eine Spur zu hinterlassen.“
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Die Wichtels waren mit dieser Art der Fortbewegung einverstanden. Der Erdgeist hauchte eine Zauberformel. Im selben Augenblick bildeten sich die Flügel unterhalb ihrer Schultern. Sie verloren den Boden unter ihren Füßen, schwebten und gleiteten ganz sachte durch die Öffnung des Unterschlupfs nach draußen. Kaum waren sie im Freien, da trieb sie der Wind gleich Insekten in die Luft. Ihre angezauberten durchsichtigen Flügelchen rotierten wie bei einem Hubschrauber und hielten die kleinen Waldleute bis zum Sonnenuntergang in der Luft. Mit der Nahrungsaufnahme konnten sie bis zur Landung warten, denn sie hatten ja vor dem Abflug ihre Bäuchlein ordentlich gefüllt.
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Ein beschwingter Flug und die Landung auf einem Felsen
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