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Kapitel 38:
Rasch gefasster Entschluss bringt rechtzeitig Hilfe

Als Lisa und Hänschen sich ausgetobt hatten, wurden die Räume und Stallungen des alten Bauernhofes eingesehen. Was unsere Besucher hier vorfanden, war erstaunlich. Das ganze Haus war zu einem Laboratorium umgebaut worden. Überall, auf weißlackierten Tischen, standen Geräte, die der Forschung dienten: Mikroskope, Spritzflaschen, Mörser, Retorten, Ansauggläser, Bunsenbrenner, Reagenzgläser und noch vieles mehr. Wände und Fußböden waren mit weißen Kacheln und Fließen ausgestattet. Wohin man schaute, glänzten und glitzerten die Räume vor Reinlichkeit. Es hatte den Anschein, als wäre jedes Stäubchen auf der Stelle weggewischt worden.

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„Das ist in der Tat ein keimfreies Haus“, meinte das Wichteloberhaupt, „und was machen wir mit den Vögeln da draußen auf den Bäumen?“ „Darüber habe ich bis jetzt nicht nachgedacht“, antwortete der Doktor, „ich schau sie mir mal genauer an.“ Darauf hin ging er auf den teilweise gepflasterten Hof. Inzwischen hatten diese Tiere ihre Plätze gewechselt und saßen derweil eng beisammen. Sie zitterten wie Espenlaub. Ihre Sorge, der Professor könne zurückkehren und sie töten, jagte ihnen unheimliche Angst ein, obschon eine große Gefahr aus einer ganz anderen Richtung herannahte, und zwar in Form einer dicken, grauen Wolke. Träge zog sie über den tiefblauen Himmel und genau über dem Gehöft türmte sich dieses Gebilde auf. Rund herum wurde es dunkel. Auf einmal teilte sich die Wolke einen Spalt breit. Zwei Hände kamen zum Vorschein. Jede Hand ergriff einen Vogel. Zappelnd und krakelend versuchten sich die Tiere zur Wehr zu setzen. Doch die Kraft fehlte, denn die züchterischen Maßnahmen gingen auf Kosten ihrer Widerstandsfähigkeit. So verschwanden sie in und mit der Wolke. Hinterher war der Himmel wieder hell und klar.

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Natürlich war der Tierarzt zutiefst über das erschrocken, was sich vor seinen Augen abspielte. Nach und nach kam er wieder zu sich und stellte fest, dass er sich unnötige Sorgen um die Tiere gemacht hatte. Erleichtert betrat er das Gebäude und schlug seinen Freunden vor, sogleich Haus und Hof zu verlassen, im Auto Platz zu nehmen, damit sie nun endlich nach Hause fahren können. In dem Augenblick, als einer der Jungens den Schlüssel in das Schloss des Außentors steckte, schoss eine lange Stichflamme aus einer Dachluke, dann ein ohrenbetäubender Knall. Durch die Wucht der Explosion wurden Steine und Bauelemente hoch in die Luft geschleudert und fielen in einiger Entfernung zu Boden. Einen dieser Steine traf den noch schlafenden Hund und tötete ihn. Eine Menge Blut quoll aus dem leblosen Körper.

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Grauen erfasste Retter und Gerettete als sie daran dachten, in welcher Lebensgefahr sich alle befanden. Nur das Drängen des Tierarztes, das Gelände zu verlassen, verhinderte schlimmeres. Während sich die kleine Gruppe vom Schreck langsam erholte, tauchte eine wunderschöne Elfe auf. Ein gelbgoldener Lichtschein umrahmte ihre Gestalt. Sie trug ein silberglänzendes Tüllkleid, das bis zu den mit Edelstein besetzten Schuhen reichte. Auf dem Kopf hatte sie ein goldenes Diadem. Nun nahm die schöne Elfe ihren schwarz-lackierten Zauberstab, hob diesen hoch und sprach: „Akkrapakraba“. Mit diesem Spruch machte sie sich und die Zwerge unsichtbar. Offen und zugleich eindringlich erklärte sie den Knirpsen, dass die hiesige Gegend, wo sie sich befanden, unheimlich wäre. Nachts trieben böse Geister derbe Streiche und erschreckten mit ihrem Gekreische Tier und Mensch. Weiter sagte sie: „Jeder, der dieses Terrain betritt, wird unweigerlich in eine falsche Richtung gelenkt und verschwindet auf Nimmerwiedersehen. Deshalb rate ich Euch, noch vor Eintritt der Dunkelheit das Gebiet zu verlassen.“ Dann erhob sie zum zweiten Mal den Zauberstab und entließ die Zwerge aus dem Banne der Magie. Dann verschwand lächelnd der feenhafte Besuch. Selbstverständlich hatten der Doktor und die Jungens von dem Auftritt nichts mitbekommen, außer dem eines wohlriechenden Lufthauchs.

Nach einem viel zu langen Aufenthalt an diesem verlassenen Ort, konnten Groß und Klein endlich ins Auto klettern und die Heimreise antreten. Nach und nach brach die Abenddämmerung herein. Wo man hinschaute leuchteten winzige blaugelbe Flämmchen auf. Dem Tierdoktor beeindruckte das schaurige Naturspiel nicht mehr. Jeder von ihnen wünschte sich sehnlichst in seine gewohnte Umgebung zu kommen. Es gab Augenblicke, in denen das Schicksal wirklich hart mit den Kleinsten der Kleinen umgegangen war. Trotzdem schafften sie es, jeweils unbeschadet aus den schrecklichen Geschehnissen herauszukommen. Dann lachten sie wieder, schnitten der Böswilligkeit Grimassen und verschwanden unter ihren Tarnkappen. Sie sahen noch wie die nicht mehr funktionierende Limousine von Geisterhände hinter einer Nebelwand geschoben wurde und damit im Reich der Schatten verschwand. Höchstwahrscheinlich hatte der Professor sich mit der Übergabe seiner Erfindungen frei kaufen wollen. Wir wissen es nicht.

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Bald war das Haus des Arztes erreicht. Freudig wurden sie empfangen. Hänschens Mutter stellte Essen und Getränke für die ganze hungrige Schar bereit, so dass sich jeder nehmen konnte, was ihm schmeckte. Schließlich hieß es wieder Abschied nehmen, denn die Zwerge wollten wieder in den Wald zurück, der ihnen Schutz und Nahrung bot. Dort fühlten sie sich am wohlsten. Die Zwilche genossen die beglückende Stille des Waldes auf ihrer Rückwanderung.

Aufkommender feiner Bodennebel trieb das kleine Völkchen zur Eile an. Auf keinen Fall durften sie die eingeschlagene Richtung verfehlen. In diesem Abendfriede spektakelte ein Eichelhäher hinein und machte so auf die Heimkehrer aufmerksam. Hase, Reh, Eichhörnchen übernahmen mit Herrn Wichtel und Miti die Führung bis zum Eingang ihrer Höhlen.

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Kapitel 39:

Die Turteltäubchen und das fliegende Brett

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